LETZTE AKTUALISIERUNG AM 27. SEPTEMBER 2024
TEXT DES MONATS OKTOBER 2024
MEIN WEG
Ich gehe nicht
den krummen Weg
der höflichen Lüge.
Ich gehe
den geraden Weg
der taktlosen Wahrheit.
Die Wegbegleiter
sind mir längst schon
abhandengekommen.
Die Mühen der Ebene
sind die
der Wüste.
TEXT DES MONATS SEPTEMBER 2024
DIE FRAU DES ZAUBERERS
Die Frau des Zauberers ist bezaubernd.
Jeder Mann, der sie erblickt, muss sie begehren.
Jeder Mann, der sie erblickt, begehrt sie.
Die begehrlichen Blicke wildfremder Männer schmeicheln ihrer Eitelkeit, doch dem Zauberer sind sie ein Dorn im Auge.
Er ist eifersüchtig, geradezu krankhaft eifersüchtig.
Am liebsten würde er diese Kerle mithilfe seiner Zauberkraft für ihre Lüsternheit bestrafen, doch leider ist er ein extrem untalentierter Zauberer.
Wenn er jemanden durch einen Zauberspruch in einen Frosch verwandeln möchte, wird ein Krokodil daraus, und wenn er jemandem die Pest an den Hals wünscht, wird eine modische Krawatte daraus.
„Warum bist du immer so eifersüchtig?“, hat ihn seine Frau schon mehrmals gefragt. „Du hast keinen Grund dafür.“
Allein, er glaubt ihr nicht. Und er hat recht.
Eines Tages nämlich, als er von einer Zaubervorstellung nach Hause kommt, ist seine Frau verschwunden, und auf dem Tisch liegt ein Zettel, auf dem geschrieben steht:
„Gar nicht liebe, krankhaft eifersüchtige Niete!
Ich habe Dich wegen eines anderen Mannes verlassen. Es ist aus mit uns. Versuche besser nicht, uns zu finden. Das schaffst Du ja doch nicht.
Deine Ex.‘
„Das werden wir ja sehen“, murmelt er, spricht einen Zauberspruch und findet sich am Gipfel eines Berges wieder, der rein zufällig so ähnlich heißt wie seine Frau.
Es ist eiskalt hier oben. Daher wünscht er sich hinunter zum Fuß des Berges, wo er nach einem freien Fall von fünfundvierzig Sekunden ankommt und mit zerschmetterten Gliedern liegen bleibt.
Mit letzter Kraft murmelt er einen Zauberspruch, der ihn eigentlich von seinen Verletzungen hätte heilen sollen.
Stattdessen trägt er plötzlich eine modische Krawatte und ist mausetot.
„Na, wenigstens können wir jetzt auch kirchlich heiraten“, sagt seine Ex zu ihrem neuen Lover, als sie davon erfährt.
„Nur, wenn es unbedingt sein muss“, sagt er. „Weil eigentlich bin ich Buddhist.“
TEXT DES MONATS AUGUST 2024
STOLZ
Wenn du findest,
dass ich störe,
dass ich nicht
zu dir gehöre,
wenn du mit dem Finger
hin zur Türe deutest,
nun, dann geh ich,
nun, dann geh ich,
nun, dann werd ich eben gehen.
Soll ich gehen,
werd ich gehen,
soll ich bleiben,
werd ich bleiben,
es liegt ganz bei dir,
das zu entscheiden.
Ich will bleiben,
ich will bleiben,
doch wenn du mich fortschickst, geh ich.
Doch wenn du dann
später anrufst,
wenn du sagst,
dass es dir leid tut
und mich bittest, doch zu dir
zurückzukommen,
werd ich dennoch,
werd ich dennoch,
werd ich dennoch ferne bleiben.
Jeder Mensch
macht manchmal Fehler.
Jeden könnt ich dir
verzeihen,
doch ein Schlussstrich
gilt für mich für immer.
Diese Grenze,
diese Grenze,
könnt ich nie mehr überschreiten.
TEXT DES MONATS JULI 2024
DER STOLZE VATER
Es war einmal ein Vater, der hatte vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter, auf die er alle sehr stolz war.
Sein ältester Sohn war Arzt und hatte ein Heilmittel gegen Krebs entwickelt, das unzähligen Menschen das Leben gerettet hatte. Sein zweiter Sohn war Strafverteidiger und hatte schon unzählige Angeklagte vor dem sicheren Gefängnis bewahrt.
Sein dritter Sohn war Bäcker und buk das mit Abstand leckerste Gebäck weit und breit.
Und seine Tochter war die beste Prostituierte im ganzen Land. Nach einem Besuch bei ihr waren ihre Kunden immer so zufrieden, dass ihnen allein schon der Gedanke an Sex noch wochenlang Brechreiz verursachte.
Eines Tages nun lud der stolze Vater seine vier Kinder zu sich ein und sprach zu ihnen wie folgt:
„Meine lieben Kinder, ich bin stolz auf euch. Du, mein ältester Sohn, hast durch dein segensreiches Wirken als Arzt schon vielen Menschen das Leben gerettet. Du, mein zweiter Sohn, hast als Strafverteidiger schon unzählige Mandanten vor dem sicheren Gefängnis bewahrt.
Und du, meine Tochter, giltst als beste Prostituierte dieses Landes.
Auch du, mein dritter Sohn, bist als Bäcker durchaus ein nützliches Mitglied der Gemeinschaft, doch im Vergleich mit deinen Geschwistern bist du eigentlich, verzeih mir meine Offenheit, ein ziemlicher Versager. Aber noch ist es nicht zu spät für einen Berufswechsel. Was würdest du beispielsweise davon halten, das Bäckerhandwerk an den Nagel zu hängen und ein berühmter Filmschauspieler zu werden?“
„Das könnte ich freilich tun“, sagte der Bäcker. „Aber dann müssten meine treuen, zufriedenen Kunden mit dem minderwertigen Backwerk meines Nachfolgers vorlieb nehmen, und das würden sie mir vermutlich sehr verübeln. Davon abgesehen scheinst du die Leistungen meiner Geschwister doch erheblich zu überschätzen.
Freilich stimmt es, dass mein ältester Bruder durch sein Heilmittel gegen Krebs schon vielen Menschen das Leben gerettet hat, doch kaum einer der Geretteten hat die zusätzliche Lebenszeit wirklich sinnvoll genützt.
Es ist auch richtig, dass mein zweiter Bruder als Strafverteidiger unzählige Menschen vor dem sicheren Gefängnis bewahrt hat, doch die meisten von ihnen waren gefährliche Kriminelle, die durch das Wirken meines Bruders auch weiterhin Mord und Todschlag verüben konnten – und Schlimmeres.
Und was dich, liebe Schwester, anbetrifft, so bist du zweifellos die beste Prostituierte im ganzen Land, doch hast du gerade dadurch, dass deine Klienten nach einem Besuch bei dir so zufrieden sind, dass ihnen der Gedanke an Sex noch wochenlang Brechreiz verursacht, schon zahllose Ehen gefährdet, wenn nicht sogar zerstört.
Ich hingegen gebe mich damit zufrieden, knuspriges Gebäck zu backen, das mit Sicherheit noch keinem Menschen geschadet hat.
So gesehen bin ich vielleicht sogar der Nützlichste deiner Kinder, Vater.“
„Da hast du eigentlich vollkommen recht“, sagte der Vater. „Verzeih, dass ich an dir gezweifelt habe. Für dich gibt es heute einen Kalbsbraten. Ihr anderen aber seid in Wahrheit alle eine Schande für meinen Namen. Verlasst also dieses Haus und kommt nie wieder, denn ihr seid mir nicht länger willkommen.“
TEXT DES MONATS JUNI 2024
DAS GUT VON MIR
Das Gut von mir
ist nicht das Gut von dir
und nicht das Gut von ihr
und nicht das Gut
von sonstnochwem.
Das Glück von mir
ist nicht das Glück von dir
und nicht das Glück von ihr
und nicht das Glück
von sonstnochwem.
Die Zeit von mir
ist nicht die Zeit von dir
und nicht die Zeit von ihr
und nicht die Zeit
von sonstnochwem.
Das Ziel von mir
ist nicht das Ziel von dir
und nicht das Ziel von ihr
und nicht das Ziel
von sonstnochwem.
Der Tod von mir
ist nicht der Tod von dir
und nicht der Tod von ihr
und nicht der Tod
von sonstnochwem.
Es ist mein eigener Tod.
Nach Gut und Glück,
nach Zeit und Ziel
ist es
mein eigener Tod.
TEXT DES MONATS MAI 2024
DREI MÜTTER
Es waren einmal drei Mütter, die ritten auf drei Kälbern hinaus in die weite Welt.
„Wer kümmert sich eigentlich um eure Kinder, während ihr unterwegs seid?“, fragte schließlich eine von ihnen die beiden anderen, nachdem sie bereits einen Tag lang unterwegs waren.
„Um Gottes willen. Keiner!“, riefen die beiden Mütter. „Und wer kümmert sich um dein Kind?“
„Um Gottes willen. Keiner!“, rief die Mutter.
So schnell ihre Kälber sie trugen kehrten die drei Mütter nach Hause zurück, doch dort fehlte von ihren Kindern jede Spur.
„Möglicherweise haben die Väter ihre Kinder zu sich genommen“, vermutete eine der Mütter.
„Ja. Das könnte sein“, sagten die beiden anderen.
Gemeinsam machten sie sich auf die Suche nach den Vätern.
Als sie die Väter fanden, waren diese gerade damit beschäftigt, weitere Kinder zu zeugen.
„Was wollt ihr denn hier?“, fragten die Väter.
„Wir sind auf der Suche nach unseren Kindern“, erklärte eine von ihnen. „Habt ihr sie vielleicht zu euch genommen?“
„Nein, das haben wir nicht“, antwortete einer der Väter stellvertretend für alle drei. „Habt ihr sie etwa verloren?“
„Sieht ganz so aus“, sagte eine der Mütter.
„Wenn ihr die Kinder nicht mehr habt, dann brauchen wir auch keine Alimente mehr für sie zu bezahlen“, sagte einer der Väter stellvertretend für alle drei. „So lebt denn wohl und lasst und fürderhin in Ruhe.“
Traurig und enttäuscht kehrten die drei Mütter nach Hause zurück, wo von den Kindern immer noch jede Spur fehlte.
„Ich glaube, ich weiß, was geschehen ist“, sagte die eine von ihnen schließlich. „Bis vor Kurzem hatten wir drei Kinder, aber keine Kälber. Und jetzt haben wir drei Kälber, aber keine Kinder mehr. Wahrscheinlich haben sich unsere Kinder in Kälber verwandelt.“
„Ja. Das erklärt alles. So muss es gewesen sein“, sagten die beiden anderen.
Und dann entblößten die drei Mütter ihre Brüste, und die Kälber traten zu ihnen hin und tranken davon.
„Na, gottseidank“, sagte eine der drei Mütter. „Dann ist ja jetzt alles wieder gut.“
„Ja. Gottseidank“, sagten die beiden anderen.
Aber wirklich glücklich und zufrieden war keine von ihnen mit dem Ausgang dieser Geschichte.
TEXT DES MONATS APRIL 2024
KEINER SOLLTE EINSAM SEIN
Keiner sollte einsam sein
im Sommer.
Die Seerose nicht
im kühlen Teich
und auch nicht die Libelle,
die darüber kreist.
Keiner sollte einsam sein
im Sommer.
Der Kaisermantel nicht
im tiefen Wald
der Eichelhäher nicht
auf seinem Baum.
Keiner sollte einsam sein
im Sommer.
Der Rehbock nicht
im frühen Morgenlicht
und nicht der Fuchs
in seinem Bau.
Keiner sollte einsam sein
im Sommer.
Die Tür ist nicht versperrt,
doch meilenweit entfernt.
Der nächste Mensch
ist nicht von dieser Welt.
TEXT DES MONATS MÄRZ 2023
DER ZEITLOSE RAUM
In meinem Haus gibt es einen winzig kleinen, fensterlosen Raum, nicht größer als eine Besenkammer, in dem die Zeit nicht vergeht.
Könnte ich mich in diesen Raum zurückziehen, um ihn nie wieder zu verlassen, so würde ich ewig leben.
Das ist freilich nicht möglich, denn ich muss arbeiten, um zu essen, und schlafen, um zu leben.
Würde ich in dem Raum meine Nächte verbringen, so könnte ich dadurch meine Lebenszeit um ein gutes Drittel verlängern, doch leider ist er viel zu klein für ein Bett. Sein gesamtes Mobiliar besteht aus einem einfachen Holzsessel.
Könnte ich meinen Computer dort aufstellen, mit dem ich meine Texte schreibe, so wäre auch dadurch viel Zeit gewonnen, doch gibt es in dem zeitlosen Raum keinen einzigen Stromanschluss, weil jede Form von Elektrizität seine Magie sofort und für immer zerstören würde.
Daher begnüge ich mich notgedrungen damit, mich hin und wieder dorthin zurückzuziehen, um im flackernden Schein einer Kerze Gedichte zu schreiben.
Genau genommen handelt es sich dabei also um zeitlose Gedichte, entstanden in einem Raum ohne Vergangenheit und Zukunft.
Weil aber ich selbst ein Kind meiner Zeit bin, so sind auch sie nichts weiter als Gedichte eines Kindes seiner Zeit, dessen Lebenszeit begrenzt ist, so wie die der brennenden Kerze, in deren flackerndem Schein ich sie geschrieben habe.
TEXT DES MONATS FEBRUAR 2023
UNTER PALMEN STERBEN
Unter Palmen einst zu sterben
erklärt man oft zum Ideal.
Ich leb lieber noch ein bisschen
und wo ich sterb` ist mir egal.
Denn was hat ein Mensch davon,
dessen Leib im Grab zerfällt,
wenn auf seine Ruhestätte
einer Palme Schatten fällt?
Trauert nicht, ihr Anverwandten,
hadert nicht mit dem Geschick,
denn selbst Meere heißer Tränen
bringen mich nicht mehr zurück.
Wenn ihr weint und wenn ihr klagt,
schadet ihr nur meinem Geist.
Dieser ist im Leben schon
lieber ohne Last gereist.
Keine Pietät lasst walten,
grabt mich ohne Feier ein.
Ich bin tot. Ihr seid am Leben.
Freut euch, selbst nicht tot zu sein.
Lasst den Pfarrer auf der Kanzel,
keine Predigt an meinem Grab,
keine salbungsvollen Worte,
lasst mich einfach nur hinab.
Tragt auch keine Trauerkleidung
mir zuliebe, denn ich weiß:
Diese Art von Kleidung ist
sommertags entsetzlich heiß.
Blumen auf dem Grab? Egal.
Wenn die Nachbarn es so wollen.
Ich kann sie nicht sehen, riechen,
sagt mir, was die mir noch sollen.
Wiese will ich sein und Erde,
schlichter Grabstein obendrauf,
bloßer Stein, naturbelassen,
der verwittert auch im Lauf.
Doch um eines bitt ich euch
wenn ich nicht mehr bei euch bin:
Richtet mir ein stilles Plätzchen
ein in eurem Sinn.
Dort könnt ihr dann Blumen pflanzen
Palmenbäume auch sogar
feierlich Choräle singen
dem, der ich euch war.
TEXT DES MONATS JANUAR 2024
ZWÖLF ZEICHEN VON LIEBE
Die Sehnsucht, einander zu sehen, wenn man fern voneinander ist.
Die Freude, einander zu sehen, wenn man sich wiedersieht.
Die Sehnsucht, einander zu berühren, wenn man sich nicht berührt.
Die Freude, sich zu berühren, wenn man einander berührt.
Das nachsichtige Lächeln über die kleinen Fehler und Unzulänglichkeiten des anderen.
Der Verzicht auf in vorwurfsvollem Ton ausgesprochene Worte wie ‚immer‘, ,ständig‘, ‚wieder‘, ‚dauernd‘ und ‚nie‘.
Die Unlust, miteinander zu streiten.
Die Reue, miteinander gestritten zu haben.
Der Stolz auf die Erfolge des anderen.
Die Traurigkeit über den Kummer des anderen.
Über die gleichen Dinge lachen, über die gleichen Dinge traurig sein.
Einander nicht ändern wollen, sondern einander bedingungslos lieben.
TEXT DES MONATS DEZEMBER 2023
BADEN BEI WIEN
Ein Turm steht
in Baden bei Wien.
Ein Turm aus Steinen,
aus blutigen Steinen,
ein Turm steht
in Baden bei Wien.
Ein Tier haust
in Baden bei Wien.
Ein Tier mit Krallen
und dem Bösen im Blick.
Ein Tier haust
in Baden bei Wien.
Ein Stein liegt
in Baden bei Wien.
Ein Stein, so glatt
und so kalt wie Eis.
Ein Stein liegt
in Baden bei Wien.
Ein Baum wächst
in Baden bei Wien.
Ein Baum ohne Wurzeln
und ohne Frucht.
Ein Baum wächst
in Baden bei Wien.
Ein Mensch lebt
in Baden bei Wien.
Ein Mensch ohne Zukunft
und ohne Zeit.
Ein Mensch lebt
in Baden bei Wien.