LETZTE AKTUALISIERUNG AM 27. September 2023
TEXT DES MONATS OKTOBER 2023
LIED EINES KRANKEN VOGELS
Ein Singvogel bin ich gewest
ich sang für euch zu jedem Fest
doch was war zuletzt mein Lohn?
Ich erntete Undank und Hohn.
Drum erklingt nie mehr mein Gesang
und ihr, ihr wartet lang
doch vergeblich auf ein neues Lied
es ist vor Gram verblüht.
Und nach Jahren, da komm ich vorbei
doch kein Ton wird wieder neu
denn ich wurde durch euch alt
und sterbe sicherlich bald.
TEXT DES MONATS SEPTEMBER 2023
DEM TOD ENTGEGEN
Ich kann
auch ohne dich leben.
Ich kann auch ohne dich
am Leben bleiben.
Müsste ich
ohne dich leben,
müsste ich ohne dich
am Leben bleiben,
so würde ich
in engen Wänden
dem Tod
entgegenvegetieren.
Doch da ich
mit dir lebe
und mit dir
am Leben bleibe
kann ich,
Tag für Tag beglückt,
dem Tod
getrost entgegensehen.
TEXT DES MONATS JULI 2023
FIKTIVE SCHLAGZEILEN
Diese gemeinen GaunerInnen müssen erwischt werden!
Große Mehrheit der ArbeitgeberInnen für Sozialabbau!
Die MörderInnen sind unter uns!
Evangelische Priesterlnnen: Für engere Zusammenarbeit mit katholischen KollegInnen!
Berühmter Zoologe von LöwInnen zerfleischt!
Endlich: Härtere Gesetze gegen RauschgifthändlerInnen!
Neue Therapie für GebärmutterhalskrebspatientInnen!
Neunzehn FussballfanatikerInnen nach Schlägerei verhaftet! Neuguinea:KanibalInnenstamm entdeckt!
Kein Platz für IdiotInnen?
Busengrapscherlnnen im Vormarsch!
Neunundneunzig Prozent aller SexualverbrecherInnen sind Männer!
TEXT DES MONATS JUNI 2023
TANZE, CARMELLA
Tanze, Carmella,
tanze, Carmella,
tanze am Leben vorbei,
denn wir besitzen
nur dieses Leben
und es wird nie mehr neu.
Tanze, Carmella,
tanze, Carmella,
tanze heut Nacht für mich,
denn vor der Türe
wartet der Fremde,
wartet auf dich und mich.
Trinke, Carmella,
trinke, Carmella,
trink von dem funkelnden Wein.
Kommt dann der Morgen
zu uns ins Zimmer,
werden wir nicht mehr sein.
TEXT DES MONATS MAI 2023
DAS FALSCHE WORT
Heute muss ich wieder daran denken, wie so oft, an den Tod meines Vaters, und immer noch belastet es mich.
Ich war damals sieben Jahre alt und meine Mutter nahm meinen älteren Bruder und mich mit, um unseren Vater im Krankenhaus zu besuchen.
Früher hatten wir nie mitkommen dürfen, obwohl er schon mehrmals darum gebeten hatte, weil unsere Mutter uns seinen Anblick ersparen wollte. Sie wollte nicht, dass wir sahen, wie sehr die Krankheit ihn entstellt hatte. Aber jetzt, da es mit ihm zu Ende ging, konnte sie ihm seinen Wunsch nicht mehr abschlagen.
Er wusste nicht, dass es so schlecht um ihn stand. Niemand hat es ihm gesagt, und er hat auch nie danach gefragt. Wahrscheinlich hatte er Angst vor der Antwort.
Mutter hat uns erzählt, dass er immer wieder davon gesprochen hat, eines Tages wieder mit seinen Buben im Garten Fußball zu spielen, so wie früher. Ich weiß nicht, ob er selbst noch daran geglaubt hat. Aber er hat es zumindest gehofft.
Mein Bruder und ich saßen in unseren Kindersitzen auf der Rückbank, während unsere Mutter den Wage durch den Stadtverkehr steuerte.
„Mama, was hat der Papa denn eigentlich?“, fragte ich sie.
„Er ist sehr, sehr krank“, antwortete sie.
„Ja, das weiß ich“, sagte ich. „Aber was genau hat er?“
„Ich muss mich jetzt wirklich aufs Fahren konzentrieren“, sagte sie. „Wir reden später darüber.“
„Ich will es aber jetzt schon wissen“, beharrte ich. „Was hat der Papa?“
Meine Mutter kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich nicht eher nachgeben würde, bis ich eine Antwort erhalten hatte, die mich zufrieden stellte. Und weil sie glaubte, dass ich das mir unbekannte Fremdwort gleich wieder vergessen würde, sagte sie die Wahrheit:
„Der Papa hat ein Sarkom.“
„Und was ist das?“, fragte ich.
„Eine sehr schwere Krankheit, wie schon gesagt“, antwortete meine Mutter. „Und wenn du jetzt nicht endlich Ruhe gibst, dann baue ich womöglich wegen dir noch einen Unfall.“
„Ja, genau. Halte endlich das Maul“, sagte mein Bruder grob, ohne dass unsere Mutter ihn deswegen zurechtwies.
Daher zog ich es vor, für den Rest der Fahrt lieber gar nichts mehr zu sagen.
Und bald darauf waren wir im Krankenhaus. Mein Bruder war schon einmal hier gewesen, wegen einer Gehirnerschütterung, aber für mich war es das erste Mal, und mir wurde fast übel von dem eigenartigen Geruch.
„Warum riecht es hier denn überall so komisch?“, fragte ich, aber meine Mutter reagierte nicht darauf, und mein Bruder zischte mich nur böse an, als hätte ich mich wieder einmal komplett daneben benommen.
Dann betraten wir das Zimmer, in dem unser Vater lag. Es war ein Einzelzimmer, mit zahlreichen Heiligenbildern an den Wänden. Er hing an irgendwelchen Apparaten und hatte die Augen zu. Er konnte sie auch gar nicht mehr öffnen, denn seine Lider waren von großen, hässlichen Geschwüren überwachsen. Er war blind.
‚Ist das wirklich unser Papa?‘, fragte ich mich, sagte aber nichts.
Er erkannte unsere Schritte und ein schwaches Lächeln huschte über sein entstelltes Gesicht.
„Danke, dass du die Kinder mitgebracht hast“, sagte er.
„Wie geht es dir denn?“, fragte unsere Mutter, küsste ihn und bedeutete uns durch ein Zeichen, das gleiche zu tun.
Ich weiß noch, dass ich mich davor ekelte und ich schäme mich heute noch dafür, aber es war doch so.
„Grüß euch, Kinder. Das ist aber schön, dass ihr mich auch einmal besuchen kommt“, sagte er und lächelte wieder.
„Geht es dir besser?“, fragte unsere Mutter.
„Ja, heute geht es mir besser, viel besser sogar“, antwortete er. „Gestern war es wirklich schlimm, die Schmerzen, aber heute ist es besser. Ich weiß nicht, ob die das mit den Augen noch einmal hinkriegen, aber das ist eigentlich gar nicht so wichtig. Wenn ich nur endlich wieder bei euch sein kann, zu Hause...
Kommst du zurecht mit den beiden?“
„Doch. Es geht“, sagte meine Mutter mit brüchiger Stimme. „Aber du fehlst uns natürlich schon sehr.“
„Ja. Ich weiß“, sagte er und wandte sich an mich. „Von dir hört man ja schöne Sachen, Karli. Sei doch nicht immer so vorlaut zu deiner Lehrerin.“
„Das bin ich doch gar nicht“, rechtfertigte ich mich. „Ich habe nur zu ihr gesagt, dass sie ungerecht ist, und das stimmt auch. Sie ist wirklich total ungerecht, Papa. Ehrlich.“
„Schon möglich“, sagte er lächelnd. „Aber selbst wenn es stimmt, solltest du so etwas lieber für dich behalten, weil du sonst höchstens Ärger mit ihr bekommst. Und das zahlt sich nicht aus. Alles klar?“
„Alles klar“, sagte ich, und dann, in der Absicht, ihm eine Freude zu machen, fügte ich noch hinzu. „Ich freue mich auch schon darauf, wenn du wieder bei uns bist, Papa. Und vielleicht können wir dann auch wieder miteinander Fußball spielen, wenn dein Sarkom weg ist. Was ist denn ein Sarkom?“
Meine Mutter starrte mich entsetzt an. Mein Vater hingegen lag vollkommen regungslos da, und sein Atmen klang wie ein Stöhnen. Soeben hatte er aus meinem Mund sein Todesurteil erfahren.
Ich wusste zunächst überhaupt nicht, was eigentlich los war. Ich wusste nur, dass ich etwas schrecklich Falsches gesagt hatte. Aber was?
Vielleicht hätte ich nicht vom Fußballspielen sprechen dürfen, solange mein Papa noch blind war. Ja. Wahrscheinlich war es genau das gewesen. Weil er möglicherweise für immer blind bleiben würde.
„Und wenn wir nicht mehr Fußball spielen können...“, begann ich.
„Halt den Mund! Bitte!“, schrie meine Mutter mich an, und dann umarmte sie meinen Vater und schluchzte. „Es ist doch gar nicht wahr, was der Bub da daher plappert, das hat er draußen am Gang aufgeschnappt, dort haben zwei Ärzte gerade über ein Sarkom gesprochen, und jetzt glaubt er, das ist ein anderes Wort für Krankheit, gelt, Karli, so war das doch, oder?“
Ich aber begriff nicht einmal mehr, dass meine Mutter mich soeben verzweifelt um meine Hilfe gebeten hatte, sondern zeterte:
„Nein! Das ist überhaupt nicht wahr! Das hast du selbst gesagt! Ich habe dich gefragt, was der Papa hat, und du hast gesagt, ein Sarkom. Du selbst hast es gesagt! Du!“
Es war eine Szene wie aus einem Alptraum.
Meine Mutter weinte noch heftiger, und ich brüllte und heute noch lauter, weil ich schuld daran war, dass sie weinte und weil sie mir böse war und weil sie mich jetzt nicht mehr lieb hatte, und mein Vater lag immer noch regungslos da und flüsterte:
„Nein, ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben“, und sah so aschfahl aus, als wäre er schon gestorben.
Meine Mutter ging mit uns Kindern hinaus und blieb bei uns, bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Dann kehrte sie wieder zu unserem Vater zurück und blieb lange bei ihm, während mein Bruder und ich draußen am Gang auf sie warteten.
Irgendwann begann ich, mit zwei Münzen zu spielen, bis mein Bruder sie mir aus der Hand riss.
„Du hast Papa gesagt, dass er sterben muss, und jetzt spielst du noch blöd herum! Du Schwein! Schwein! Schwein!“, schrie er mich an, und erst in diesem Moment begriff ich, was ich getan hatte.
„Aber das habe ich doch nicht gewusst!“, schluchzte ich. „Das habe ich doch nicht gewollt!“
„Aber du hast es getan, du Schwein!“, schrie mein Bruder. „Du hast es getan!“
Eine Krankenschwester kam vorbei und ermahnte uns, leise zu sein, um nicht die anderen Leute zu stören. Sie glaubte an einen ganz normalen Streit unter Kindern und bot jedem von uns ein Bonbon an.
Mein Bruder lehnte ab, ich aber nahm es und steckte es in den Mund.
Es schmeckte salzig nach Tränen, und mein Bruder hat es mir zweifellos sehr verübelt, dass ich es angenommen habe.
Vielleicht hasst er mich sogar heute noch, er liebt mich jedenfalls nicht, aber ich konnte doch nichts dafür!
Irgendwann rief unsere Mutter uns noch einmal ins Zimmer.
Unser Vater wirkte sehr gefasst, als er uns bat, näher zu kommen. Dann umarmte er uns, erst meinen Bruder, dann mich, und flüsterte jedem etwas ins Ohr, aber ich verstand kein Wort von dem, was er mir noch hatte sagen wollen.
„Wiedersehen, Kinder“, sagte er ganz leise und küsste uns, ich würgte auch noch einen Gruß hervor und war heilfroh, als ich endlich wieder draußen war.
Drei Tage später war er tot. Wir sind hinter seinem Sarg hergegangen und alle haben geweint, nur ich nicht.
Was ist Sterben, was bedeutet es, tot zu sein? Ich wusste es damals noch nicht. Aber auch heute noch sind diese Blicke da, die sagen: Du hast ihm gesagt, dass er sterben muss. Vergiss das nicht. Vergiss das nie.
Kann man so etwas denn jemals vergessen?
Ich kann es nicht. Die dunkelste, schamvollste Erinnerung meiner Kindheit hat mich nie wieder verlassen und meine Schritte schwer gemacht bis heute.
Mein Bruder tut, als hätte er mir verziehen, und meine Mutter tut, als würde sie mich immer noch lieben, aber ich weiß nur zu gut, dass beides nicht stimmt.
Ich sollte vielleicht fortgehen von hier.
TEXT DES MONATS APRIL 2023
BLIND
Wenn ich nicht sehen könnte
von Geburt
wär alles um mich her Geräusch
oder Gefühl.
Und Bilder hätte ich wohl nicht
in mir
denn alle Farben, hell und dunkel
wären fremd.
Stimmen wären meine Zeiger
auf Wegen durch das Dunkel
das auch nicht erhellt wird durch
fehlendes Wissen vom Licht.
TEXT DES MONATS MÄRZ 2023
DAS PUZZLE
Weil der Installateur Michael Haas als Kind oft und gerne Puzzles gelöst hatte, beschloss er kurz nach seiner vierten Scheidung, sich der beglückenden Zeit seiner Kindheit wieder anzunähern, indem er sich ein Puzzle kaufte.
Er entschied sich für ein Puzzle, das aus nicht weniger als zehntausend Teilen bestand und den Titel ‚Wolken im Nebel‘ trug, was auf einen hohen Schwierigkeitsgrad hindeutete.
Und während er Stunde um Stunde an dem Puzzle arbeitete, dessen Teile sich farblich so gut wie gar nicht voneinander unterschieden, wurde ihm bewusst, dass ihm das Puzzeln heute, im Erwachsenenalter, überhaupt keinen Spaß mehr machte. Nur seiner Hartnäckigkeit war es zu verdanken, dass er trotzdem bei der Sache blieb, doch als er das Puzzle nach geschlagenen vierhundert Stunden endlich fertigstellen wollte, musste er feststellen, dass ein Teil fehlte.
Um zu verhindern, dass womöglich so etwas passierte, hatte er ausschließlich in seinem Hobbykeller an dem Puzzle gearbeitet, zu dem außer ihm selbst kein Mensch Zutritt hatte.
Schuld an dem Malheur war also ganz eindeutig die Herstellerfirma Puzzletov, die offenbar ein inkomplettes Puzzle an den Handel übermittelt hatte.
Daher schrieb Michael der Firma Puzzletov ein ziemlich unfreundliches Beschwerde-E-Mail.
Die Antwort, die er darauf erhielt, machte ihn sogar noch wütender:
Man bedaure Michaels Missgeschick, hieß es da, sei aber dank strenger Qualitätskontrollen mit Sicherheit nicht dafür verantwortlich. Dennoch sei man aus Kulanzgründen bereit, Michaels Puzzle gegen ein komplett neues umzutauschen.
Das freilich hätte bedeutet, dass Michael weitere vierhundert Stunden in die Lösung des Puzzles hätte investieren müssen, obwohl ihm nur ein einziger Teil fehlte.
Daher übermittelte er der Firma Puzzletov, die er als Chaostruppe bezeichnete, ein Foto seines Puzzles und ersuchte darum, ihm den fehlenden Puzzleteil, und nur diesen, zu übermitteln, denn nur damit sei ihm geholfen.
Und als er darauf keine Antwort mehr erhielt, setzte er sich ins Auto und fuhr zum Hauptsitz der Firma, um deren Chef gehörig die Meinung zu sagen.
„Sie wünschen, bitte?“, erkundigte sich die Vorzimmerdame des Chefs bei ihm, eine attraktive Brünette, die Michael sicher nicht von der Bettkante gestoßen hätte, hätte sie sich rein zufällig dorthin verirrt.
„Ich möchte den Chef von dieser Scheißfirma sprechen“, erklärte Michael. „Ist er da?“
„Ja. Er ist gerade anwesend. Haben Sie einen Termin?“
„Nein. Und ich brauche auch keinen.“
„Entschuldigen Sie, aber ohne Termin kann ich Sie leider nicht zu ihm vorlassen. Der Herr Generaldirektor...“
„Das interessiert mich einen Scheiß, du dreckige Schlampe“, unterbrach Michael grob. Nicht umsonst hatten es bereits vier Frauen nicht mit ihm ausgehalten. „Jedenfalls geh ich jetzt da rein.“
Und während die Vorzimmerdame hastig die Nummer des Sicherheitsdienstes wählte, betrat Michael unangemeldet das Büro des Firmenchefs.
„Was fällt Ihnen ein, hier unangemeldet hereinzuplatzen?“, fragte ihn der Chef ungehalten.
„Maul halten und zuhören, Arschgesicht“, erwiderte Michael. „Ich habe von eurer Scheißfirma ein Puzzle gekauft und vierhundert Stunden dran gearbeitet, und dann hat ein Teil gefehlt. Und deshalb verlange ich jetzt von euch 4.000 Euro Schadenersatz.“
„Sie sind ja verrückt“, sagte der Chef. „Das kommt überhaupt nicht in Frage.“
„Das werden wir ja sehen“, knurrte Michael und zog ein Messer von der Art, die Crocodile Dundee bevorzugt verwendete. „Und wenn du jetzt nicht gleich spurst, dann steche ich dich ab wie ein Ferkel.“
„Um Himmels Willen, bitte tun Sie jetzt nichts Unüberlegtes“, sagte der Chef. „Ich gebe Ihnen ja das Geld, Sie sollen Ihr Geld haben, das ist überhaupt keine Frage, ich habe nur leider nicht genug hier im Büro, aber ich schreibe Ihnen eine Anweisung für die Kasse, nur bitte, bitte stecken Sie das Messer wieder weg.“
„Na also. Warum nicht gleich so“, sagte Michael, doch bevor er es tun konnten, stürmten vier Männer des Sicherheitsdienstes ins Büro, entwaffneten ihn und übergaben ihn der Polizei.
Michael Haas wurde wegen gefährlicher Drohung zu sechs Monaten unbedingter Haft verurteilt.
Nach seiner Entlassung wird er möglicherweise sogar noch ein fünftes Mal heiraten.
Puzzles wird er aber wahrscheinlich keine mehr lösen.
TEXT DES MONATS FEBRAR 2023
HUNDESCHWÄNZE
Wären unsere Politiker
wie Hundeschwänze,
sie säßen nicht im Parlament,
sondern am Hintern von Hunden.
Wären unsere Politiker
wie Hundeschwänze,
so würden sie wedeln,
statt Reden zu halten.
Wären unsere Politiker
wie Hundeschwänze,
sie wären loyal
und unbestechlich.
Wären unsere Politiker
wie Hundeschwänze,
sie wären nicht fähig
zu Täuschung und Lüge.
Ach, wären sie doch
Hundeschwänze!
TEXT DES MONATS JANUAR 2023
SCHWARZWEISS
Die Zeit des Schwarzweißfilms ist vorbei.
Die Zeit der Schwarzweißmaler hat wieder begonnen.
Selbsternannte Tugendwächter beurteilen unser Verhalten.
Sie allein haben vom Baum der Erkenntnis gegessen.
Sie allein kennen den Unterschied zwischen Gut und Böse.
Sie bestimmen, wer auf der richtigen Seite steht und wer auf der falschen.
Wer auf der richtigen Seite steht, ist ohne Fehl und Tadel.
Wer auf der falschen Seite steht, ist ein Satan und ein Verbrecher.
Es gibt nur noch Faktenchecker und Schwurbler.
Die Faktenchecker sind selbst dann im Recht, wenn sie nicht Fakten checken, sondern Meinungen interpretieren.
Die Schwurbler sind selbst dann im Unrecht, wenn sie noch vor wenigen Jahren auf ihrem Gebiet als Kapazitäten von Weltruf galten.
Aus den Pazifisten von gestern sind die Kriegshetzer von heute geworden.
So wie zu Beginn des Ersten Weltkriegs propagieren die Linken wieder den Krieg und das Blutvergießen, sofern es das richtige Blut ist, das vergossen wird, als wäre nicht jedes Leben kostbar und schützenswert.
Je länger der Krieg gegen Russland andauert, je mehr russisches Blut darin vergossen wird, desto gerechter wird er.
Je mehr die eigene Bevölkerung unter den Folgen der gegen Russland verhängten Sanktionen leidet, desto alternativloser werden sie, denn hier geht es nicht um Macht und Wirtschaftsinteressen, sondern um den ewigen Kampf Gut gegen Böse, Ahura Mazda gegen Ahriman.
Wer den Feind versteht, ist selber einer.
Tag für Tag werden unsere Werte in der Ukraine verteidigt, bis zu ihrer vollständigen Entwertung.
Ich sehe nicht schwarz und nicht weiß. Ich sehe grau.
Mir graut vor der Gegenwart.
TEXT DES MONATS DEZEMBER 2022
UNSERE KINDER
Unsere Kinder
sind unsichtbar.
Sie lassen sich
kaum noch blicken.
Unsere Kinder
sind unhörbar.
Sie rufen
kaum noch an.
Unsere Kinder
sind unfühlbar.
Sie lassen sich
kaum noch berühren.
Unsere Kinder
sind wortlos.
Ihr Leben
ist ihr Tabu.
Unsere Kinder
sind ratlos.
Den unseren
brauchen sie nicht.
Unsere Kinder
sind lieblos.
Mit der Lizenz
zum Kränken.
Als hätten wir
sie nie
auf Händen
getragen.
Als hätten wir
sie nie
gefüttert, gewickelt,
getröstet.
Als hätten wir
sie nie
mehr als uns selbst
geliebt.
TEXT DES MONATS NOVEMBER 2022
DER LEDERMANTEL
Es war einmal ein Zuhälter, der hatte einen Ledermantel, den er über alles liebte.
Um ihn kaufen zu können, hatten seine drei Damen nicht weniger als dreihundert Freier bedienen müssen, denn der Mantel bestand aus dem Leder dreier Schlangenarten, die mittlerweile bereits ausgestorben waren.
Wenn der Zuhälter, mit seinem Ledermantel bekleidet, in seinem Maserati, der sogar noch etwas teurer gewesen war, durch die Straßen der nächtlichen Stadt raste, fühlte er sich wie der Herr der Welt.
Eines Tages aber geschah es, dass ein Freier, den der Zuhälter berufsbedingt wegen Zahlungsunwilligkeit verprügeln musste, dabei versehentlich den sündteuren Ledermantel anblutete, worüber der Zuhälter so sehr in Rage geriet, dass er den Unglücksraben kurzerhand erstach.
Um den Vorfall zu vertuschen, blieb dem Zuhälter nichts anderes übrig, als den für die Ermittlungen zuständigen Polizeibeamten mit dem Gegenwert von hundert Sexualakten zu bestechen.
Seine drei Damen murrten zwar über die zusätzlichen Arbeitsstunden, die er ihnen dafür abverlangte, doch weil sie aus leidvoller Erfahrung wussten, wie unangenehm er werden konnte, wenn ihm etwas gegen den Strich ging, zogen sie es letztlich vor, sich zu fügen.
Nachdem der Ledermantel zum Preis von acht weiteren Geschlechtsverkehren chemisch gereinigt worden war, sah er wieder aus wie neu.
Nun konnte unser Zuhälter also wieder, mit seinem Ledermantel bekleidet, in seinem Maserati durch die nächtlichen Straßen der Stadt rasen und sich dabei wie der Herr der Welt fühlen, genau wie zuvor.
Einem Verkehrspolizisten, der ihn dabei aufhielt, um ihn wegen Geschwindigkeitsübertretung zu belangen, bot er an, dessen Leben zu kaufen, doch dieser begnügte sich damit, ein Strafmandat in Höhe von fünf bezahlten Schäferstündchen einzukassieren, was dem Zuhälter nur recht sein konnte, denn das Leben des Beamten wäre natürlich erheblich teurer gewesen.
Somit war alles wieder in bester Ordnung.
Der Zuhälter hätte eigentlich glücklich und zufrieden sein können, und das war er auch, doch leider wurde er nur eine Woche später von einem Berufskollegen wegen irgendeiner unbedeutenden Meinungsverschiedenheit auf offener Straße erschossen.
Nicht weniger als fünf Kugeln durchbohrten Brust und Bauch, und seine letzten Worte waren:
„Du verdammtes Arschloch! Der schöne Mantel!“